Donnerstag, 26. November 2015

Johann Carl Bertram Stüve

"Befreier der Bauern" & "Wohltäter der Armen"

 
Am 24. November 2015 hatten wir in Ruppe Kosellecks Seminar "Erinnern und Vergessen" den wohl bekanntesten Osnabrücker Bürgermeister zu Gast. Dadurch ergab sich für uns die Möglichkeit, ein ausführliches und interessantes Interview mit ihm zu führen.

Studentin: Hallo Herr Johann Carl Bertram Stüve, es ist mir eine Ehre Sie heute begrüßen zu dürfen.

Herr Stüve: Vielen Dank, ich freue mich sehr heute hier zu sein.

Studentin: Herr Stüve, Sie waren einer der wohl beliebtesten und sind immer noch der bekannteste Bürgermeister Osnabrücks. Können Sie und etwas zu ihrer Person erzählen?

Herr Stüve: Ja, natürlich. Ich wurde am 4. März 1798 hier in Osnabrück geboren und hier starb ich dann auch im Jahre 1872. Ich war Jurist, Historiker, Politiker und eben auch Bürgermeister meiner Heimatstadt Osnabrück. Zudem war ich Abgeordneter der Ständeversammlung im Königreich Hannover und liberaler Innenminister des sogenannten Märzministeriums in Hannover. 

Studentin: Das ist wirklich sehr beeindruckend. Können Sie uns vielleicht noch etwas zu Ihrem familiären Hintergrund verraten?

Herr Stüve: Aber sehr gerne doch. Ich bin das jüngste von fünf Kindern aus der Ehe von Heinrich David Stüve und Margarethe Agnes Berghoff. Ich besuchte das Ratsgymansium, wo ich 1817 meinen Abschluss machte. Ich stamme aus einer angesehenen Politikerfamilie. Bereits mein Vater Heinrich Stüve und auch mein Großvater Johann Eberhard Stüve waren Mitglieder des Osnabrücker Stadtrats. Mein Vater war darüber hinaus auch der erste Bürgermeister Osnabrücks. Er war neun Jahre im Amt, von 1804 bis zu seinem Tod im Jahre 1813.


Studentin: Sie zogen dann 1817 nach Berlin, was machten Sie dort?

Herr Stüve: In Berlin begann ich mein Jurastudium, wechselte dann aber nach Göttingen und wurde dort 1820 promoviert. Sowohl in Berlin als auch in Göttingen gehörte ich Burschenschaften an. In Berlin war ich 1818 Mitbegründer der Alten Berliner Burschenschaft. Ich zog dann aber aus lieber zu meiner verwitweten Mutter zurück nach Osnabrück und arbeitete hier als Anwalt. Obwohl ich gerne Jura-Professor geworden wäre.

Studentin: Können Sie uns vielleicht noch mehr zu ihrer politischen Karriere verraten?

Herr Stüve: Natürlich, meine politische Karriere begann 1824 als Abgeordneter der Stände-versammlung in Hannover, wo ich meinen ersten großen Erfolg mit einem staatlichen Schuldenerlass für Osnabrück erzielte. In dieser Zeit waren die Bauern im Osnabrücker Land dem Gutsherrn mit Leib und Leben verpflichtet. Nur ein Freibrief gab ihnen Unabhängigkeit.

Studentin: Das bringt mich zum nächsten Thema. Sie gelten ja auch als der Befreier der Bauern. Wie kam es dazu?

Herr Stüve: Die Bauern waren mir schon immer sehr wichtig und so entwarf ich das Hannoversche Ablösungsgesetz, welches inzwischen als ein politisches Meisterstück gilt. Ich war zu der Zeit Schatzrat und Mitglied der Ständeversammlung in Hannover, ich veröffentlichte mein Buch über die Lasten des Grundeigentums und legte die Ablösungsverordnung vor, die den abhängigen Bauern die Freiheit bringen sollte. Sie trat am 22. Juli 1833 in Kraft. Ich sehe mich als Reformer und zudem arbeitete mit am Staatsgrundgesetz von 1833 für das Königreich Hannover.

Studentin: Und was bewirkte dieses neue Grundgesetz?

Herr Stüve: Dieses „Grundgesetz“ eröffnete sowohl dem Bürgertum als auch dem Bauernstand den Zugang zur Zweiten Kammer der Ständeversammlung. Darüber hinaus wurde eine beschränkte Minister-Verantwortung eingeführt sowie die Generalsteuerkasse mit der bisher dahin unabhängigen Königlichen Generalkasse zu einer einheitlichen Steuerkasse zusammengeführt, die dann dem Haushaltsrecht der Ständeversammlung unterworfen war.

Studentin: Aber König Ernst August beseitigte die ständisch-liberale Verfassung 1837 durch Verfassungsbruch. Was taten Sie dagegen?

Herr Stüve: Ich reichte im Namen der Stadt Osnabrück dagegen Verfassungsbeschwerde beim Deutschen Bund ein, doch die Verfassung wurde erst 1848 nach der Märzrevolution wieder in Kraft gesetzt. Ab 1841 hinderte mich die hannoversche Regierung an der Wahrnehmung meines Landtagsmandats. Ich durfte Osnabrück nun nur mit Genehmigung länger als drei Tage verlassen. Ich lehnte es aber ab, die Erlaubnis zu erbitten. So widmete ich mich meinem Amt als Verwaltungsbürgermeister von Osnabrück, in das ich 1833 einstimmig von der Osnabrücker Bürgerschaft gewählt worden war. Dieses Amt hatte ich bis 1848 inne.

Studentin: König Ernst August versuchte die Auswirkungen der Märzrevolution zu begrenzen, indem er Sie dann als Innenminister in die Märzregierung Graf Bennigsens berief. Wozu nutzen Sie dieses Amt?

Herr Stüve: Zunächst einmal schaffte ich die Zensur ab, beseitigte Standesvorrechte, trennte Justiz und Verwaltung und reformierte Verwaltung und Gemeinden. Meine Reformen blieben auch nach dem Rücktritt der Märzminister im Oktober 1850 bestehen, bis sie 1855 unter König Georg V. aufgehoben wurden. Ich kehrte 1850 nach Osnabrück zurück, widmete mich zunächst historischen Veröffentlichungen, und wurde 1852 erneut zum Bürgermeister gewählt. 

Studentin: Zurück in Osnabrück nahmen Sie dann aber eine zunehmend konservative Haltung ein. Nach Auseinandersetzungen mit dem Bürgervorsteherkollegium gaben Sie ihr Amt 1864 endgültig auf und traten zurück?!

Herr Stüve: Das ist richtig. Ich war in zwischen alt geworden und wollte mich zurückziehen. Ich starb 1872 und wurde auf dem Hasefriedhof in Osnabrück beigesetzt. Was ist denn eigentlich in den Jahren nach meinem Tod geschehen?
 
Studentin: Bis in die heutige Zeit sind Sie einer der bekanntesten Osnabrücker Bürgermeister. Die Historiker beschreiben Sie immer noch als „Vater der Armen und der Bauern“, wobei Sie früher sowie heute als ein tatkräftiger „Mann des Volkes“ bekannt sind. Und so wandte sich bereits kurz nach Ihrem Tode ein bürgerliches Komitee an „alle Vaterlandsfreunde ohne Unterschied der politischen Partei und religiösen Gesinnung“, um Ihnen ein Denkmal zu errichten. Zur Ausführung kam der Entwurf des Iburger Bildhauers Heinrich Pohlmann.

Herr Stüve: Wer war denn dieser Herr Pohlmann?

Studentin: Heinrich Pohlmann wurde am 24. Oktober 1839 in Scheventorf bei Bad Iburg geboren und war der Sohn einer Bauernfamilie. Während seiner Zimmermannslehre fiel einem Adjutanten des Königs von Hannover Pohlmanns Talent bei der Anfertigung von Schnitzereien auf. Er verhalf Pohlmann zu einer Förderung, die diesem von April 1861 bis Ende 1864 den Besuch der Akademie der Künste in Berlin ermöglichte. Gefördert durch das Stipendium des Königs von Hannover konnte Pohlmann zudem 1866 eine Studienreise nach Italien antreten. Zurück aus Italien machte er sich 1867 in Berlin als Plastiker selbständig und erhielt 1870 den kaiserlichen Auftrag zu einer Reiterstatuette Wilhelms I, die diesem von der Kaiserin Augusta im März 1871 geschenkt wurde. Weitere öffentliche Aufträge für Denkmäler und Bauplastiken folgten (genau wie Ihre Statue, die im Jahr 1882 errichtet wurde). Außerdem schuf er zahlreiche Porträts und Grabplastiken, wobei insbesondere die Grabplastiken weite Verbreitung fanden. Am 30. August 1917 starb der 78-jährige Pohlmann in Berlin und gilt heute als ein bekannter Denkmalskünstler.

Herr Stüve: Ja, dem Herrn Pohlmann ist das Denkmal wirklich gut gelungen. Besonders ähneln die Gesichtszüge sehr den meinen. Können Sie mir noch mehr zu dieser gelungenen Statue erzählen?


Studentin: Zu Ihrem zehnten Todestag, am 17. September 1882, wurde das Stüve-Denkmal auf dem Osnabrücker Rathausplatz enthüllt. Auf hohem Sockel aus Sandstein (geschätzt 3-4 Meter hoch) stand die Bronzefigur von Ihnen (dem prominenten Historiker, Innenminister, Sozialreformer und langjähriger Bürgermeister) in Über-Lebensgröße. Ihre rechte Hand ist leicht erhoben, in der linken halten Sie ein Buch. Dem Betrachter ist ohne nähere Erklärung oft nicht verständlich, was Pohlmann mit dieser Haltung ausdrücken wollte: Die leicht erhobene rechte Hand bedeutet eine Geste, die Sie während der Reden an die Bauern und Bürger meist zeigten. Das Buch in der anderen Hand zeigt sinnbildlich Ihre reiche schriftstellerische Tätigkeit.  Die beiden Schriftstücke auf dem rückwärtigen Eichenstumpf tragen die Jahreszahlen 1831 (Ablösungsgesetz) und 1833 (Staatsgrundgesetz). Beide sind ja, wie sie schon selbst zuvor erläuterten, Ihrem politischen Einfluss zu verdanken. Dass die Eiche als Symbol genutzt wurde liegt nahe: In der Romantik (also während Ihrer Lebenszeit) wurde die Eiche ein Symbol der Männlichkeit, Treue, Standhaftigkeit, Beständigkeit und verbunden mit der Entwicklung des ersten deutschen Nationalstaates auch zum deutschen Symbol. Zeitgleich wurde die Eiche in Deutschland zum Symbol des Heldentums und das Eichenlaub wurde als Siegeslorbeer verwendet.


"als Befreier der Bauern"
Auf dem Sockel befanden sich zudem zwei Reliefplatten, die Motive aus Ihrem Leben darstellten. Die eine Bronzetafel ist betitelt mit „Befreier der Bauern“, die andere mit „Wohltäter der Armen“. Stüve als „Bauernbefreier“ erinnert an Ihre Initiative für die Ablösungsverordnung in Hannover vom Jahr 1833, womit die leibeigenen Bauern sich endlich aus der wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeit vom Grundherrn befreien konnten.


"als Wohltäter der Armen"

 

Stüve als „Bürgerfreund“ bezieht sich hauptsächlich auf Ihre Rolle als sozialer Wohltäter. Sie kümmerten sich während Ihrer Amtszeit als Bürgermeister intensiv um die Modernisierung der Stadt (Eisenbahnbau, Gaswerk, Kanalisation) aber auch um den Bau des ersten Krankenhauses vor dem Heger Tor. Auf der zweiten Relieftafel sieht man neben Ihnen außerdem den alten Ratsdiener Landmeyer (mit dem Aktenkoffer) von dem die selbstbewusste Osnabrücker Redensart überliefert ist "Ick un de Bürgermeester", weil er unter sechs Bürgermeistern seines Amtes gewaltet hat.

Herr Stüve: Und wo sind die Platten heute? Bzw. warum stehen wir jetzt gerade hier vor der Volkshochschule und nicht auf dem Marktplatz vor dem Osnabrücker Rathaus?


Studentin: Über ein halbes Jahrhundert erinnerte das Denkmal auf dem Marktplatz an Sie, den berühmten „Bauernbefreier“ und „Bürgerfreund“. Doch 1935 entfernten die Nationalsozialisten das Denkmal, da es „verkehrshindernd bei Kundgebungen“ war. Das Denkmal musste somit den Parteiaufmärschen der NSDAP weichen. Fortan schaute Ihre Statue von der neuen Promenade auf dem damaligen Kaiserwall (heute Natruper-Tor-Wall oder Hasetorwall) auf Osnabrück. Hier blieb die Statue einige Jahre auf ihrer Wanderung stehen. 1943 stuften die braunen Machthaber die Plastik als künstlerisch wertlos ein und bestimmten ihre Einschmelzung. Doch mutige Osnabrücker verbargen die Statue geschickt im Kokskeller des OsnabrückerMuseums. Bereits 1948 konnte es wieder aufgerichtet werden, zunächst jedoch nur im Garten des Museums. Im Jahr darauf, zum 150. Geburtstag Stüves, zog es in die Grünanlage vor dem Heger Tor. 1968 musste es abermals dem Verkehr weichen und erhielt seinen heutigen (wohl endgültigen) Platz vor der Volkshochschule, dem „Stüve-Haus“.


Herr Stüve: Die Statue ist zwar nicht mehr so präsent wie früher auf dem Rathausplatz, doch ich bin mit dem Platz trotzdem sehr zufrieden und ich fühle mich geehrt, dass es nach so vielen Jahren immer noch existiert und an mich gedacht und erinnert wird!



           Studentin: Ja, hier vor dem Stüvehaus, welches unter Ihrer Anregung und Anleitung bis 1864 gebaut wurde und als Krankenhaus diente, ist der Platz Ihres Denkmals auch meiner Meinung nach gut gewählt. Wir gedenken aber noch an anderen Orten an Sie, die Stüvenbrede im Fledder und auch die Stüvestraße am Hasetorwall sind nach Ihnen benannt. Außerdem wurde nach Ihnen die Stüveschule, eine Grundschule in Schinkel, benannt. Nach ihrer Renovierung sollten die zwei Bronzeplatten, die heutzutage ganz versteckt im Durchgang zum Steinwerk in der Dielinger Straße 13 hängen, am Schulgebäude anbracht werden, um an Ihre ehrenvolle Tätigkeiten erinnern. Allerdings konnten die Platten nicht von den Wänden der Häuser entfernt werden, weshalb die Schule schließlich zwei Abgüsse der beiden Platten als Geschenk der Stadt bekam.

 
 
Mavisen Melek & Pia van Alebeek
 

für das Seminar ERINNERN UND VERGESSEN 

der Universität Osnabrück

 
 
 

Dienstag, 24. März 2015

Deutsche Agentur für Datensicherheit

 
Der "gläserne Bürger" - Eine Intervention im halböffentlichen Raum
 
Im Rahmen des Seminars "Interventionen im öffentlichen und halböffentlichen Raum" der Universität Osnabrück fanden im Wintersemester 2014/2015 unter der Leitung von Ruppe Kosellek viele interessante Projekte statt. Beispielsweise wurde ein Kuscheltiermassaker in der Osnabrücker Fußgängerzone veranstaltet, bei dem wir die Tierpelzproduktion, von der Schlachtung bis zur fertigen Felldecke, nachstellten. Ein weiteres Projekt nannte sich "Bitte bedienen Sie sich" und beschäftigte sich mit einem spendenden Bettler, der die Passanten aufforderte sich etwas Geld zu nehmen, anstatt etwas zu geben. Die von mir durchgeführte Intervention heißt "Deutsche Agentur für Datensicherheit" und befasst sich mit der komplexen Diskussion rund um das Thema Datenschutz und der Frage, wo öffentlicher Raum beginnt und Privatsphäre endet.
 
In den letzten Jahren wird immer häufiger diskutiert, wie wichtig Datenschutz ist. In erster Linie geht es dabei nicht um die Daten selbst, sondern um das Recht jedes Einzelnen, Informationen über sich kontrollieren zu können. Der öffentliche Raum wird hier nicht als physisch, sondern vielmehr als sozial oder mental verstanden. Die Frage ist, wo dieser öffentliche Raum endet und wo die individuelle Privatsphäre beginnt. Seit den Anschlägen auf das World Trade Center versucht der Staat möglichst viele personenbezogene Daten seiner Bürger zu sammeln (z.B. durch biometrische Merkmale in den Ausweisen, neue Richtlinien zum Zugriff auf Konto- und Flugbewegungen, die Durchsuchungen privater Rechner und durch das Gesetz der Vorratsdatenspeicherung etc.). Das Interesse des Staates ist dabei augenscheinlich nicht, die Privatsphäre der Bürger in die Öffentlichkeit zu zerren, sondern vielmehr exklusive Informationen über sie zu erhalten. So kommt es immer wieder zum Konflikt "Staat gegen Bürger", wobei der Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die wahrscheinlich wichtigsten modernen Abwehrrechte der Bürger darstellen.
 
Der Begriff "gläserner Bürger" wird als Metapher des Datenschutzes verwendet und beschreibt den als negativ empfundenen leichtfertigen Umgang mit Daten jeglicher Art, sowie die vollständige Durchleuchtung des Menschen und seines Verhaltens durch den überwachenden Staat. Aus Sicht der Datenschützer ist es sehr problematisch, dass viele ihre Daten freiwillig preisgeben obwohl sie dies gar nicht tun müssten. Ein vollständiger Verlust der Privatsphäre und des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung wird befürchtet. Im Jahr 1983 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass jeder Mensch das Recht darauf hat, zu erfahren wer was wann über ihn weiß. Allerdings ist dies in der heutigen Zeit leider nicht mehr der Fall, da es  z.B. Videoüberwachungen auf öffentlichen Plätzen, Aufzeichnungen von Telefonaten oder die Möglichkeit  einer ständigen  Ortung über die Handynetze gibt. Zudem trägt jeder Mensch selbst dazu bei, dass er seiner Privatsphäre entledigt wird, z.B. durch die privaten Angaben bei Facebook oder Twitter. Das Internet vergisst nichts. Die sozialen Netzwerke speichern alle angegebenen Daten, mit wem der Nutzer kommuniziert und alle Bilder, die hochgeladen werden. Es ist kaum mehr möglich keine digitalen Datenspuren zu hinterlassen, sodass jeder mithilfe ein paar Mausklicks private Dinge über jede andere beliebige Person erfahren kann.

Dieser leichtfertige Umgang mit persönlichen Daten kann viele schwerwiegende Folgen mit sich bringen: z.B. Tracking, Cyber-Mobbing, Stalking oder auch Hacking. Mithilfe meiner Intervention "Deutsche Agentur für Datensicherheit" mochte ich  auf diese Gefahren des Internets aufmerksam machen. Ich versetzte mich dafür in die Rolle eines Stalkers und versuchte, möglichst viele Informationen über bestimmte Personen zu beschaffen, die meiner Meinung nach zu viel Persönliches über sich selbst im Internet preisgeben. Zunächst machte ich aber einen Selbstversuch und führte das Projekt an meiner eigenen Person durch. Ich suchte bei Facebook und Google nach Informationen über mich selbst und verfasste darüber anschließend einen Fließtext in Briefform.
Um diesen Brief authentisch wirken zu lassen, designte ich einen Briefkopf, überlegte mir einen Namen und ein Logo für den Absender und erstellte eine passende E-Mail-Adresse. Der Absender wurde die "Außenstelle Osnabrück der Deutschen Agentur für Datensicherheit", der Betreff lautete "Großprojekt Datensammlung" mit dem Bezug zur Dateninkontinenz und verantwortlich für die Bearbeitung des Schriftverkehrs wurde A. Becker mit der E-Mail: becker.DAD@gmx.de.

Während der Besprechung meiner Intervention im Seminar kamen wir zu dem Entschluss, dass dieser DAD-Brief noch um ein Korrekturformular erweitert werden sollte, damit auch eine Reaktion des Betroffenen  möglich wird. Dieses Rücksendeformular fordert den Adressat auf, die persönlichen Informationen des Briefes auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, sie gegebenenfalls zu korrigieren und der DAD
 weitere, bisher unbekannte Daten, z.B. die Körpermaße und das Körpergewicht, zukommen zu lassen. Zudem formulierten wir für den Brief noch einen Abschlusssatz, der um eine baldige Rücksendung des Korrekturformulars bittet und dabei androht, die Datensicherheit nicht mehr gewährleisten zu können, falls eine 4-Wochen-Frist nicht eingehalten wird. Zu Beginn schrieb ich diese DAD-Briefe an meine beste Freundin, meinen Freund, meine Mutter und meine Schwester. Später begann ich dann, willkürlich Personen, die sehr viele Informationen und Daten bei Facebook über sich preisgeben, herauszusuchen und diese anzuschreiben.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 







Wie zu erwarten waren die Reaktionen auf die DAD-Briefe sehr unterschiedlich. Meine Schwester ignorierte den Brief völlig und schmiss ihn am selben Tag in den Müll. Meine Mutter diskutierte mit meinem Vater über den Brief und den Sinn, herausfinden zu wollen wie schwer oder groß sie ist. Sie empfand es dabei jedoch überhaupt nicht beunruhigend, zu sehen, wie viele Informationen über sie im Internet zu finden sind. Mein Freund dagegen beschäftigte dieser Brief schon sehr viel mehr. Er erzählte mir ganz schockiert, dass irgendjemand aus Osnabrück ihn stalken würde. Dann begann er sich wilde Theorien zu überlegen, wieso jemand so viele Informationen über ihn zusammentragen würde. Hat er jemandem etwas angetan? Oder hat er vielleicht nur falsch geparkt?
Von einer jungen Frau bekam ich das Korrekturformular sogar zurückgeschickt. Allerdings nicht ordnungsgemäß ausgefüllt, sondern zerknittert, durchgestrichen und beschriftet mit der Frage: „Was soll dieser Scheiß?“ Doch die wohl intensivste und emotionalste Reaktion kam von meiner besten Freundin. Sie erzählte mir später, dass sie schockiert und verängstigt war nachdem sie den Brief gelesen hatte. Sie wusste zwar, dass diese Informationen alle im Internet zu finden sind, doch die Vorstellung, dass jemand sich die Mühe macht diese Daten zusammenzutragen, war für sie sehr beunruhigend. Als erstes rief der Brief auch bei ihr die Assoziation mit einem Stalker hervor. Will sich ihr Ex-Freund an ihr rächen? Schließlich entschied sie sich, noch am selben Tag zur Polizei zu gehen und eine Anzeige gegen Unbekannt zu schalten. Auch die Polizei konnte sich keinen Reim auf den DAD-Brief machen, versprach aber dieses Thema weiterhin zu verfolgen und riet ihr, alle Passwörter zu ändern und demnächst vorsichtiger mit der Herausgabe von persönlichen Daten umzugehen. Auch noch Tage später sagte meine Freundin, dass sie in der nächsten Zeit erst einmal keine Fotos oder Posts mehr auf Facebook veröffentlichen würde..

Somit erreichte die Intervention "Deutsche Agentur für Datensicherheit" meiner Meinung nach das angestrebte Ziel, Aufmerksamkeit zu erregen. Ich schaffte es, einen Weg zu finden der die Adressaten schockiert und ihnen "schwarz auf weiß" vor Augen führt, wie viele private Informationen über sie öffentlich im Internet zu finden sind. Sie werden durch die direkte Konfrontation und die erschütternde Wahrheit dazu angeregt, sich mit ihrem Verhalten auseinander zu setzen und etwas daran zu verändern (z.B. wie meine beste Freundin, die erst einmal keine Posts und Fotos mehr bei Facebook veröffentlichte und sich vornahm, im Internet weniger private Informationen über sich preiszugeben). An dieses Ergebnis könnte z.B. mit der Bearbeitung des Interventionsthemas an Schulen, angeknüpft werden. Schon mit 13 Jahren ist es offiziell möglich einen eigenen Facebook Account zu eröffnen. Somit könnte meine Intervention "Deutsche Agentur für Datensicherheit" ungefähr ab der 7ten Klasse eingesetzt werden – allerdings in abgewandelter Form. Eine Projekttag zu dem Thema "Was findet man im Netz?" könnte z.B. so aussehen, dass die Schüler und Schülerinnen die Aufgabe bekommen, einen DAD-Brief an sich selbst zu schreiben. Sie sollen herausfinden, welche personenbezogene Daten und Informationen sie auf Facebook oder anderen sozialen Netzwerken angegeben haben und welche Einträge man findet, wenn man ihren Name googelt. Recherchen über sich selbst anzustellen ist bestimmt interessant für die Schüler und Schülerinnen, da sie erleben können wie ein Stalker arbeitet und wie Tracking funktioniert. Zudem werden sie verstehen, dass das Internet wirklich alles speichert und erkennen, dass viele private Informationen zu leicht öffentlich zu finden sind. Dadurch lernen sie die mögliche Gefahren kennen und diese besser einzuschätzen. Außerdem könnte an diesem Projekttag besprochen werden, wie man seine Privatsphäre-Einstellungen bei Facebook ändert: Wer darf meine Inhalte sehen? Wer kann mich kontaktieren? Und wie verhindere ich, dass mich jemand belästigt?
 
Interventionen im öffentlichen Raum versuchen immer, ein möglichst großes Publikum zu erreichen. Dies ist allerdings mit meiner "DAD"-Intervention nicht möglich, da jeweils nur einzelne Personen angeschrieben werden können. Während meiner Recherchen bin ich jedoch auf das interessante Dokumentarfilmprojekt "Do Not Track" gestoßen, dass das Thema meiner Intervention weiterführt und es einem breiteren Publikum zugänglich macht. Alle zwei Wochen, vom 14. April bis zum 9. Juni 2015, wird eine Folge veröffentlicht und erklärt, wie das Internet zu dem geworden ist was es heute zunehmend ist: Ein Instrument der Überwachung. Dabei zielt es, genau wie die DAD-Intervention, darauf ab, dass nicht nur verstanden, sondern auch erlebt werden soll was Tracking bedeutet. "Do Not Track" zeigt, wie ein zweites digitales Ich entsteht und versucht dem Internetnutzer die Kontrolle über persönliche Daten zurückgeben.

Abschließend ist noch einmal wichtig, zu betonen, dass sorgfältiger mit der Herausgabe von persönlichen Informationen umgegangen werden muss und immer genau überlegt werden sollte, wem man seine Daten anvertraut und warum.


von: Pia van Alebeek
 





 

Montag, 16. Februar 2015

The Situation Room

a walkable closed circuit video-installation / Franz Reimer / 2013 

 
Unser Kunstseminar Erinnern und Vergessen unter der Leitung von Ruppe Koselleck hat am 14.05.2014 die Kunstausstellung We, the enemy in der Kunsthalle Osnabrück besucht. Unsere Aufgabe bestand darin, ein Kunstwerk auszusuchen und mit unserer im Seminar behandelten Thematik "Denkmäler in und um Osnabrück" in Verbindung zu bringen. Wir sollten folgende Frage versuchen zu beantworten: Inwiefern kann ein Kunstwerk gleichzeitig Denkmal sein?
 
Nach der ersten Begehung der Ausstellung ist Anna und mir die Video-Installation "The Situation Room"  von Franz Reimer besonders aufgefallen. Hierbei handelt es sich um eine Rekonstruktion des Sitrooms im Weißen Haus der USA, dem Hauptzentrum für verschlüsselte Kommunikation. Wir als Betrachter können aktiv als Statisten die Kulisse betreten, am Tisch Platz nehmen und die Situation des 1.Mais 2011 nachempfinden. Das Originalfoto, auf welche sich die Video-Installation bezieht, entstand während der Tötung Osama bin Ladens. Aufgenommen wurde es von Pete Souza, dem Fotografen des Weißen Hauses.
 
Wir haben die Situation des Situation Rooms mit einigen Seminarteilnehmer/innen nachgestellt (Mit Genehmigung des Künstlers veröffentlicht).
 
 
Durch das Betreten der Kulisse kann man in die Rolle der Politiker schlüpfen und bin Ladens Hinrichtung auf dem Bildschirm nachempfinden. Die Kamera zeigt jedoch nicht den richtigen Tathergang sondern ist direkt auf die Kulisse gerichtet, sodass man sich selbst betrachten kann und Teil des Kunstwerks wird.
Für uns war sofort klar, dass diese Inszenierung eine Art von Denkmal ist. Ein Denkmal, dass die USA selbst von sich geschaffen hat. Das Foto zeigt zwar nicht direkt die Tötung, sondern "nur" die Reaktionen der im Raum Anwesenden. Durch die Verbreitung dieses Bildes will die USA beweisen, dass Osama bin Laden wirklich tot ist. Interessant zu beobachten sind die Gesichtsausdrücke der Politiker…
 
Besonders auffällig ist, dass alle männlichen Anwesenden kaum Veränderungen in ihrer Mimik aufzeigen, höchstens etwas angespannt aussehen, während die einzige weibliche Person im Raum, Hillary Clinton, ihre Hand erschrocken vor den Mund hält.
Sie könnte daher als ein eigenständiges feministisches Denkmal im Denkmal selbst verstanden werden, da sie als Einzige deutliche Emotionen zeigt, während die Tötung betrachtet wird.
Interessant ist auch die Frage, welche Rolle Obama in diesem Bild spielt. Er scheint leicht abseits am Tisch neben dem Brigadier General Marshall B. Webb zu sitzen, der relativ entspannt etwas in sein Notebook tippt und einen in diesem Moment wichtigeren Posten eingenommen hat als Obama selbst.
Es ist erschreckend zu sehen, wie karg die Emotionen der Anwesenden ausfallen, wenn man bedenkt, dass es sich bei bin Ladens Tötung um eine illegale Tat handelt, denn: "all men are created equal".
 
Alle Menschen sind gleich und haben die gleichen Rechte. Wie kann also nun die USA diese illegale Tötung rechtfertigen? Es handelt sich hier um einen Racheakt, hinter der fast die ganze Bevölkerung steht. Zudem will die USA der ganzen Welt beweisen, dass sie die mächtigste Nation der Welt ist. Außerdem wird Osama bin Ladens Leiche nie gezeigt und er dadurch ein "Unsichtbarer Toter" bleibt. Die Illegalität dieser Handlung wird also schneller verdrängt.

Durch die mediale Aufarbeitung und Veröffentlichung könnte man sogar von einem Verfassungsdenkmal sprechen.

Alles in allem bleibt die Frage, ob es sich schon bei dem Foto von Souza um Realität oder eine Inszenierung handelt, wovon auszugehen ist. Dann wäre Reimers Video-Installation eine Inszenierung der Inszenierung.