Dienstag, 1. Juli 2014

Ich bin ausgegrenzt, stigmatisiert, zwangssterilisiert, ermordet und vergessen!

Werner Kavermann Denkmal

1999 entstand erstmalig die Idee, eine Gedenktafel für die psychisch kranken Opfer des Nationalsozialsozialismus der Pflegeanstalt Osnabrücks zu errichten. Für die Erstellung wurde ein Kunstwettbewerb ausgeschrieben, aus dem Werner Kavermann als Sieger hervorging.  
 


 
Seine Skulptur zeigt besonders deutlich, in welche Position der psychisch Kranke in der NS-Gesellschaft gedrängt wurde und wie er sich gefühlt haben muss. Am 27.1.2005 wurde die Skulptur dann am AMEOS Klinikum Osnabrück feierlich enthüllt.
 
Werner Kavermann wurde 1960 in Bad Rothenfelde geboren. Bevor er sein Kunststudium an der  Fachhochschule Hannover begann, machte eine Ausbildung zum Reproduktionsfotografen in Osnabrück. Anschließend studierte er Freie Kunst in Braunschweig und ist seit 1997 als freischaffender Künstler in Osnabrück tätig.
 
Besonders wichtig war Kavermann bei der Umsetzung seines Mahnmals, dass es in die Umgebung eingepasst wird und diese nicht dominiert. Dieser Gedanke resultiert aus der Tatsache, dass am Denkmalstandort sowohl das Pflegepersonal als auch die Patienten des AMEOS Klinikums nahezu täglich mit dem Mahnmal im Kontakt treten und selbst entscheiden sollen, ob sie sich der Präsenz bewusst machen wollen, oder es lieber einfach umgehen. Das Mahnmal soll also nicht zwingend von jedem intensiv betrachtet werden, um den psychisch kranken Opfern des Nationalsozialismus zu gedenken, sondern eher beiläufig wahrgenommen werden.
 

Interessant war hier auch die Befragung einer Mitarbeiterin der Tagesklinik, welche auf Nachfrage bezüglich der Wahrnehmung des Denkmals antwortete, dass sie täglich am Mahnmal vorbeiginge, es aber überhaupt nicht mehr wahrnehmen würde. Sie betrachtete die geringe Größe des Mahnmals als negativ und war der Ansicht, dass ein Mahnmal eines solchen Verbrechens verdient hätte.
 
Der Koordinator der Tagesklinik war ähnlicher Ansicht und war ebenfalls der Meinung dass eine größere Würdigung der Opfer der NS-Psychiatrie durchaus angebracht gewesen wäre. Den Standort empfand er als passend, bedauerte aber, dass das Mahnmal in Osnabrück relativ unbekannt sei und nicht sehr viele Passanten (ausgenommen Pflegepersonal oder Patienten) vorbeikämen. Er gab zu Bedenken, dass zur Zeit der Aufstellung noch ein Café in der heutigen Tagesklinik ansässig war und daher wesentlich mehr Laufkundschaft das Denkmal passierte.

Das Denkmal besteht aus zwei quadratischen Säulen, welche ca. 80 cm hoch und 60 cm breit sind. Sie bestehen aus Beton, welcher schon leichte Verwitterungsmerkmale (grau-grüne Verfärbung) aufweist. Auf den beiden Betonsäulen befindet sich das kleine Denkmal mit Gedenktafel, welche aus Bronze angefertigt worden sind. 
 


Die linke Säule trägt das ca. 10 cm hohe Mahnmal, eine kleine Gruppe von Menschen, welche den Blick nach außen gerichtet haben und ein Außenstehender, welcher den Blick von der Gruppe abgewandt hat und offensichtlich keinen näheren Kontakt zur Gruppe sucht.
 

Die rechte Säule trägt die Texttafel mit der Aufschrift:
Ich bin ausgegrenzt, stigmatisiert, zwangssterilisiert, ermordet und vergessen. Zum Gedenken an die psychisch kranken Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Osnabrück.“

 
Das Mahnmal soll also all denjenigen gedenken, die dem Konzept der NS-Psychiatrie zum Opfer gefallen sind. Der Forschung ist es bis heute nicht gelungen zu erfassen, um wie viele Opfer es sich genau handelt, deutschlandweit werden sie auf 100.000 geschätzt.
 
Diese Morde bezeichnet man auch als Euthanasie-Verbrechen. Euthanasie kommt aus dem griechischen, wobei „eu“ gut bzw. schön heißt und „thánatos“ der Tod. Es gilt als Linderung des Leidens im Sterben oder als Sterbehilfe, d.h. die von einem Menschen bewusst gewollte Hilfe bei der Herbeiführung des Todes durch eine andere Person.

Im Gegensatz dazu waren die Euthanasie-Verbrechen im Nationalsozialismus jedoch sorgfältig geplante Morde, die Teil der nationalsozialistischen „Rassenhygiene“ waren und zur Ideologie der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ gehörte.
Diese Morde fanden unter dem Tarnnamen T4 statt. Aktion T4 bedeutete vor allem die Ermordung von Psychiatriepatienten und Behinderten in Tötungsanstalten in den Jahren 1940/41. Als Beginn dieser Verbrechen gilt der Befehl Adolf Hitlers vom 1. September 1939 an Reichsleiter Phillipp Bouhler in dem es heißt:

Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbaren Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Gesundheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“
 
Die ersten Gruppen der NS-Psychiatrie in Osnabrück waren Opfer von Zwangssterilisationen. Hierzu gab es ein Gesetz zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933. Die Umsetzung erfolgte aber zwangsweise und man hatte den Eindruck, dass das Erbgesundheitsgericht in Osnabrück willkürlich handelte.
Im April 1941 wurden 92 weibliche und 156 männliche Patienten aus der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Osnabrück zunächst nach Eichberg und von dort nach Hadamar verlagert. Dies waren Transporte zu inoffiziellen Tötungsstätten, von denen nie wieder ein Patient zurückkehrte. Die T4 Verbrechen wurden zwar im August 1941 offiziell eingestellt. Allerdings wurden noch bis zum Jahr 1945 Euthanasie-Morde begangen.

Doch nicht jeder Patient, der im 2. Weltkrieg in einer Anstalt gestorben ist, kann als Opfer der NS-Psychiatrie bezeichnet werden. Zu dieser Zeit starben natürlich auch Patienten ohne konkrete Tötungsmaßnahmen der Ärzte. Der Todeszeitpunkt allein führt also nicht zum Status als Opfer des Nationalsozialismus.
Da sich die Versorgungen aller Psychiatrien systematisch verschlechterten, verschwimmen die Grenzen stark. Diese Entwicklung lässt sich auf das „Notprogramm für die Gesundheitsfrage“ des Reichsinnenministeriums aus dem Jahre 1931 zurückführen, das eine „planwirtschaftliche Zusammenarbeit der Krankenanstalten“ vorsah. Begründet wurde dies mit dem Ernst der Wirtschaftslage, weshalb auch im Bereich des Gesundheitswesens erhebliche (finanzielle) Einschränkungen unvermeidlich waren. Durch dieses „Notprogramm“ wurden also Bedingungen geschaffen, die nicht unmittelbar zum Tode eines Patienten führen und sich folglich nicht ursächlich auf seinen Tod beziehen lassen. Allerdings lässt sich belegen, dass diese neuen, schlechten Umstände das Ableben der Anstaltsinsassen erheblich beschleunigten.

Zudem gab es nie einen direkten Tötungsbefehl aus Berlin, der Reichsausschuss erteilte stattdessen sogenannte „Behandlungsermächtigungen“ auf denen die Tötungsmaßnahmen beruhten. Es handelte sich also um Geheimaktionen, da Tötungsbefehle auch damals nach dem Reichsstrafgesetzbuch strafbar waren.
Zu den geheimen Tötungsmethoden, die in der Regel auch in den Patientenakten eingetragen wurden, zählen: Tötung durch Gas, Tötung durch Überdosierung bestimmter Medikamente, Tötung durch den Entzug lebenswichtiger Medikamente, Tötung durch Nahrungsentzug und Tötung durch anstrengende Verlegungstransporte.
Doch wie kann nun festgestellt werden ob es sich bei dem Verstorbenen wirklich um ein NS-Opfer handelt? Aus den Informationen der Patientenakten lässt sich folgender Katalog erstellen:
  1. Ungünstige oder negative Prognosen bei der Patientenaufnahme oder der Begutachtung
  2. Schwere oder schwerste körperliche oder geistige Schäden
  3. Einstufung der Patienten als unheilbar
  4. Beschreibung des Patienten ohne Entwicklungspotential der Fähigkeiten
  5. Hervorhebung des hohen Pflegeaufwands oder untypischer Krankheitsverlauf
  6. Einstufung als besonders aggressiv und störend
  7. Eintreten von Fieber kurz vor dem Tode
  8. Todesursache, die auf Erkältungserkrankungen hinweist (Lungenentzündung)
  9. Einweisung in ein anderes Gebäude, das als Tötungsstätte bekannt ist
  10. Aktenvorgänge, die auf eine Beteiligung des Reichsausschusses in Berlin hinweisen     
Die betroffenen Patienten wurden zudem meist als „tiefstehend“ und „arbeitsunfähig“ beschrieben. Sie galten als „unwertes Leben“ und „unnütze Esser“. In 54 Patientenakten der Altstadt Osnabrück lassen sich Einträge wie: „völlig interesselos und vollkommen unverändert“ finden, die zur Verlegung in eine Zwischenanstalt und wenig später zur Weiterverlegung in eine Tötungsanstalt führten.

Jedoch war später weitgehend bekannt, dass es sich bei den „planwirtschaftlichen Verlegungen“ um eine reichsweite Mordaktion handelt, weshalb nur noch wenige Patienten für die Tötungstransporte ausgewählt wurden. Auch in Osnabrück wurden verhältnismäßig wenig Meldebögen übersandt, sodass eine Nachprüfung angeordnet wurde. 99 Meldebögen mussten nachgereicht werden.

Obwohl schon viele Informationen zu den Osnabrücker NS-Opfern ermittelt werden konnten, bleibt vieles ungeklärt. Vor allem für die Bedürfnisse der neuen Gedenkkultur sind weitere Forschungen notwendig. Gefühle und Erinnerung können dabei jedoch die Nachforschungen beeinflussen. Was entspricht der historischen Wahrheit? Was wurde bis heute geheim gehalten??

Nach unserem Vortrag stellten wir den Aufbau des Denkmals mit den Seminarteilnehmer nach. Es gab einen Außenstehenden und eine Gruppe von Leuten. Wir verteilten Zettel auf denen der Satz: „Ich fühle mich....“ vollendet werden sollte.
 
Der Alleinstehende schrieb: „Ich fühle mich... komisch, aus-gesondert, kontaktlos, einsam, hilflos und ausgegrenzt.“ Die Mitglieder der Gruppe schrieben: „Ich fühle mich.... geborgen, menschlich, gut, als Teil der Gruppe, beschützt, sicher, nicht alleine, stark, unterstützt, als Teil von Etwas und dazugehörig.“ Diese Aussagen untermauerten den ersten Eindruck des Denkmals: die Gruppe wendet sich von dem „Andersartigen“, also der Minderheit ab und grenzt ihn aus.

Allerdings gab es auch andere Meinungen von den Seminarteilnehmern innerhalb der Gruppe: „Ich fühle mich... beengt, blind, bedrückt, klein und nicht individuell.“ Diese Aussagen führten uns zu einer Diskussion: Warum kehrt die außenstehende Figur der Gruppe den Rücken zu? Und warum schauen ihm die Mitglieder der Gruppe hinterher? Kann die Stellung der Figuren neu interpretiert werden?
Schließlich kamen zu einer weiteren Interpretation: Die Figurengruppe könnte auch die Ausgegrenzten der NS-Zeit symbolisieren, während die alleinstehende Figur den behandelnden Arzt darstellt, der sich von den „Andersartigen“ abwendet und sie ausschließt.
 

Zum Abschluss diskutierten wir warum das Kavermann-Denkmal erst so spät aufgestellt wurde. Was hat es mit dem Jahre 2005 auf sich?
Im Jahre 2005 war der Zweite Weltkrieg genau 60 Jahre her. Nach dem Krieg schämte sich die deutsche Bevölkerung für ihre Vergangenheit. Sie wollten die Zeit erst mal hinter sich lassen und vergessen was passiert war. Zudem lebten die Betroffenen und Angehörigen noch, was so ein Denkmal unpassend machen würde. Denn so eine Geschichte braucht Zeit um verarbeitet werden zu können. Heutzutage haben wir keinen persönlichen Bezug mehr zur NS-Zeit, weshalb es nun wichtig ist, an die Opfer zu gedenken und sie (und die deutsche Vergangenheit) nicht zu vergessen!



Anna Adels, Mavisen Melek, Pia van Alebeek





Literaturverzeichnis:

Damus, Martin/ Lindhorst, André/ Zimmer, Wendelin: Kunst im Öffentlichen Raum.Osnabrück:
         Rasch Druckerei und Verlag. Online-Publikation,
         <http://www.osnabrueck.de/dokumente/kunst_im_oeffentlichen_raum.pdf>

Kavermann, Werner: Website Werner Kavermann. Osnabrück 2011. Online-Publikation,
         <http://www.wernerkavermann.de/html/vita.html> Stand: 22.6.2014

Reiter, Raimond: Opfer der NS-Psychiatrie aus Osnabrück. Osnabrück 2010. Online-         Publikation, <http://www.rreiter.de/reiter/wp-content/uploads/2010/12/Osnabruecker-         Mitteilungen- Reiter-2010.pdf> Stand: 22.6.2014